Montag, 24. Mai 2010

Gipfelglück im Alpenvorland

•Tag: 21
•Etappe:Landsberg am Lech - Bad Kohlgrub
•Tagesdistanz: 91,27 km
•Höhendifferenz: 358 Meter (Höhe von 569 Meter 927 Meter)
•Gesamtanstieg: 892 Meter
•Gesamtabstieg: 579 Meter
•Kalorienverbrauch: 1906 kcal


Man sollte immer eine Falsche Prosecco in der Gepäcktasche haben. Das dachte ich mir, als ich hinter einem kleinen Hügel zum ersten Mal in der Ferne die Alpen erblickte. Was für ein Moment. Drei Wochen ist es her, dass ich in Berlin in den Zug nach Flensburg stieg. Und nun lagen sie vor mir: die Berge, die nun bald meine Heimat sein werden.


Vor Rührung schossen mir die Tränen in die Augen. Wie viele Kilometer hatte ich zurückgelegt, um das zu sehen. Wie viele schöne Momente, wie viele kleine Katastrophen erlebt. In meiner Erinnerung verwischen die vielen Orte, die ich gesehen habe, die vielen Hotelzimmer, in denen ich geschlafen habe. Mein Gefühl für Entfernung hat sich komplett verändert. Allerdings in eine Richtung, die ich zuvor nicht vermutet hätte. Waren 400 Kilometer bisher eine weite Reise für mich, sind sie nun "nur" vier Tagesetappen mit dem Rad. Ich habe Deutschland durchquert, habe es "erfahren" im wahrsten Sinne des Wortes, habe seine Dimensionen vermessen.

Endlich hatte ich sie: die Almwiesen, die ich mir am Vortag so herbeigesehnt hatte. Wieder, wie im hohen Norden, sah ich gelb. Nur waren es dieses Mal keine Rapsfelder, sondern Wiesen voller Butterblumen.


Und wie Herzrasen in Wahrheit aussieht, weiß ich nun auch.


Begonnen hatte der Tag aber noch nicht ganz so rosarot. Auch wenn ich extra, um die Laune zu bessern und die kalten Öhrchen zu wärmen, meine rosarote Mütze aufgesetzt hatte.


In Landsberg war es immer noch am Nieseln. Für die ersten 30 Kilometer bot mir mein Radführer zwei Varianten an: östlich oder westlich des Lechs. Ganz gegen meine Gewohnheiten entschied ich mich für den längeren Weg, weil mir bei der anderen Strecke irgendwie komisch zu Mute war, als ich von einer steilen Abfahrt las, die gute Bremsen erfordern würde. Schicksal? Keine zwei Stunden später saß ich mitten im Wald als ich feststellte, dass meine Bremsen nicht mehr griffen. Zum ersten Mal wurde ich zum Garagegirl, was dazu führte, dass Martin mir meinen verschmähten Fleckenteufel "Kettenschmiere" wieder mitbringen musste.

Irgendwie gelang es mir, die lockeren Teile wieder festzustellen. Ein netter Mountainbiker warf noch einen männlichen Blick mit technischem Sachverstand darauf und ermutigte mich, weiterzufahren. Gott sei Dank machte ich doch noch einen Boxenstopp im nächsten Ort. Bremsklötze hinten platt, Bremsen gelockert, Schaltung verstellt, Luft zu knapp und Kette völlig trocken. Für sensationelle 20 Euro wurde mein Rad wieder flott für die Alpen gemacht. Man quält sich doch noch mehr, die Berge hinauf, wenn das Rad dabei quietscht und jammert. Endlich lief wieder alles rund und just in diesem Moment tat sich ein blaues Loch am Himmel auf.


Gut so, denn ich konnte jede Menge Motivation gebrauchen. Zwischen mir und der Wieskirche, der berühmtesten Wallfahrtskirche Bayerns, lagen noch diverse Berge. Zum ersten Mal knackte ich fast die 1000 Höhenmeter.

Und in so christlicher Umgebung geht man offenbar davon aus, dass Radler über Wasser gehen können. Wie sonst kann man sich erklären, dass der Bodensee-Königssee-Radweg mitten durch dieses Flussbett geht? "Tragen Sie Ihr Rad am Besten durch das Gewässer", empfiehlt der Radführer dazu. Ja, sind die denn alle deppert? Mein Rad sollte mich tragen, weil es mit nassen Reifen deutlich besser leben kann als ich mit nassen Füßen. Trotzdem kam ich ums Waten nicht herum. Kneipp lässt grüßen.


Oben angelangt saugte ich die barocke Pracht in mich auf und da die katholischen Einflüsse, die meine liebe Patentante in meine Erziehung eingebracht hat, nicht ganz verpufft sind, fand ich, dass es wohl an der Zeit war, ein paar Kerzen anzuzünden: Für meine Mama, an die ich so oft denke unterwegs. Für meinen Schutzengel, der so gut auf mich aufgepasst hat auf meinem Weg. Und für Martin und mich und unsere Liebe, die mich nun zur Exilberlinerin und Wahltirolerin machen wird.




P.S.: Auch die deutsche Nationalmannschaft hat sich offenbar Richtung Wieskirche aufgemacht, um den Ballack-Schock im Gebet zu verarbeiten. Der WM-Bus sah allerdings in den Vorjahren deutlich besser aus. Ist eben doch viel Schrott unterwegs Richtung Südafrika.

4 Kommentare:

  1. Wir stoßen für dich mit Prosecco auf deinen Alpenblick an :-))

    LG, Nils

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  2. ups - Umlaute waren grade aus...

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  3. Liebe Kerstin,

    danke fuur das 'Herzrasen' und andere kleine Wortschätzchen! Ich freu mich daruuber, wie du so langsam ankommst.

    Winterliche Kängurugrüsse,
    Astrid

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  4. Liebe Kerstin, meinen herzlichen Glückwunsch zur Ankunft in den Bergen und deiner neuen Heimat. Es ist schön, dich auf dieser Reise zu begleiten. Und enorm, wie sich alles fügt, was sich alles zeigt, einschließlich dem Herzrasen ;-).
    Herzlichst Sabine

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