Sonntag, 9. Mai 2010

Schweißgebadet fern der Heimat

  • Tag: 9
  • Etappe: Barby - Halle
  • Tagesdistanz: 103,98 km
  • Höhendifferenz: 86 Meter (Höhe von 7 Meter bis 93 Meter)
  • Gesamtanstieg: 222 Meter
  • Gesamtabstieg: 177 Meter
  • Kalorienverbrauch: 1261 kcal

    Wer morgens duscht, ist ein Spießer. Die Radlerin von Welt lässt sich beim Rad beladen von einer explodierenden Colaflasche berieseln. Braune Tupfen auf Struzzo: Das ist das neue Bergtrikot.

    Zugegeben, ich übertreibe. Die Bombe ist lediglich in meinem Packsack hochgegangen. Und ich kann nun bestätigen: Die Jungs von Ortlieb bauen wirklich coladichte Taschen. Zumindest ist das Pflaster vorm Hotel total sauber geblieben. Kann aber auch an dem Mikrofaserhandtuch liegen, dass in dieser Tasche war. Ein Wunder der Technik: Es absorbiert bis zu eineinhalb Liter klebrige Flüssigkeit. Das alles änderte nichts daran, dass ich derart getauft in einen wahrhaft zähen, klebrigen Tag startete.

    Dafür hatte ich ein ganz bezauberndes Date mit diesem Herren.



So bezaubernd, dass ich auf eine sofortige Wiederholung bestand. Und so beehrte ich ihn und seine Fähre gleich zwei Mal. Denn eine gute halbe Stunde nach der ersten Überfahrt stellte ich fest, dass ich gerade lustig Richtung Magdeburg zurückradelte. Ich versuchte, keinen cholerischen Anfall zu bekommen, als ich wieder am Hotel vorbeikam. 15 Kilometer Strafrunde. So kommt man hervorragend ins weit mehr als 100 Kilometer entfernte Halle, das ich heute unbedingt erreichen wollte. Das Rad macht nämlich sehr seltsame Geräusche und bevor das Tretlager auf dem nun nahenden Rennsteig ganz den Geist aufgibt, muss das unbedingt kontrolliert werden.

"Think pink", dachte ich beim Anblick dieses Struzzo-Baumes in all dem Grün rund um die Saale und versuchte, das positive daran zu sehen.







Immerhin hatte ich meinen Geldbeutel mit all seinen Kreditkarten nicht verloren, den ich auf der Fähre nicht wieder ordentlich eingepackt hatte. So balancierte er freihändig auf dem Packsack, bis ich ihn dort zufällig entdeckte. Ich traf diesen Storch in seinem Nest und dieses nette Tandem aus Hildesheim, dem ich Grüße Richtung Heimat mitgab. Irgendwie schon schön, nicht alle Berge allein bewältigen zu müssen.






Radfahrer in Sachsen-Anhalt haben die Wahl zwischen Pest und Cholera: Sie können schnell, aber in Todesangst, über die Bundesstraße jagen oder sich im Schleichtempo auf Kopfsteinpflaster ein Schütteltrauma zuziehen. Aufbau Ost bedeutet offenbar Abbau beim Radtourismus. Oder warum bekommt jedes Dorf einen schicken und auch noch teuren Mittelalterlook verpasst, statt einfach mal ordentlich Teer aufzutragen?

Wer besonders klug ist und beide Seuchen vermeiden möchte, stürzt sich kopfüber in unbekannte Feldwege und sieht sich auf einmal von Bahngleisen umzingelt.





Das Rad durch den Schotter zerrend, versuchte ich, schneller zu sein als die Deutsche Bahn. Was normaler Weise nicht so schwierig ist und mir dann auch gelang: Als er hier kam, war ich längst entkommen. Wiederholung dennoch ausgeschlossen.



Gern hätte ich geschrieben, dass ich längst über alle Berge war. Wäre aber gelogen, denn diverse Anstiege standen mir noch bevor. Ein bisschen träumte ich von der Provence mit ihren Burgen hoch oben in den Bergdörfern.


Und ich bereute, dass ich nicht ein paar PS mehr unter der nicht vorhandenen Motorhaube hatte. Denn dann könnte ich fliiiiiiiiegen.



Hängt man über dem Rennradlenker, richtet man den Blick automatisch demütig auf den Boden. Liebe Buki, you will cross the bridge, when you will reach it? Wenn man nicht ständig versucht, in die Zukunft zu schauen, dann merkt man noch nicht mal, dass da bald mal was zu überwinden ist. Dafür sieht man viel besser die kleinen Stolpersteine, die direkt vor einem auf dem Boden liegen. Das erspart so manchen freien Fall.

Ich lebe momentan so sehr in der Gegenwart. Denke an jede Etappe und nicht an die vielen hundert Kilometer, die noch vor mir liegen. Ich erspüre die Dinge, die mir wichtig sind, aber ich sorge mich nicht darum, wie es weitergehen wird. Der Weg ist längst schon da. Mit meinen neuen Pfadfinderqualitäten werde ich ihn finden. Ganz sicher. Solange ich nicht auf mein Navi höre.

Übrigens kommt nach einem Berg immer auch ein Tal. Im Leben freut man sich, wenn es aufwärts geht, beim Radfahren ist es eher umgekehrt. ;-) Manchmal gibt es auch eine Flachetappe. Aber wenn ich ehrlich bin: Es langweilt mich. Ein bisschen Achterbahn macht mich so schön Karussell im Kopf.

Dennoch: Heute ist mir das Lachen wirklich vergangen.Ich habe zum ersten Mal meine mentalen und physischen Grenzen gespürt.




Da nutzte auch die klerikale Pause nichts.



Als ich nach Halle herein fuhr, war dann auch noch das Handy weg und ich fühlte mich sehr allein. Meine drei Wünsche, liebe Fee? Ein Zimmer, ein Hoteltelefon und eine Internetverbindung. Der arme Martin musste verbal ein paar Tränchen trocknen, was er natürlich wunderbar beherrscht. Und als alles wieder gut war, tauchte auch das Handy wieder auf. Nun ist es leider gesperrt. ;-)

PS: Als ich diesen Beitrag schrieb, ahnte ich noch nicht, dass mir dieser Tag derartig auf den Magen geschlagen war. Mein Leser Alberto erklärte mir aber heute, dass Magendarmverstimmungen bei Radfahrern, die in ländlichen Gebieten durch Regen fahren, nicht allzu ungewöhnlich sind. Da habe ich wohl jede Menge Düngemittel und Pestizide geschluckt. Und ich dachte, es sei klug, die Kappe auf der Trinkflasche abzulassen, damit ich noch unkomplizierter daran nuckeln kann. Das bißchen Dreck...vermutlich die Rache der Schweine.

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