Mittwoch, 19. Mai 2010

O du selige Maienzeit

•Tag: 19
•Etappe:Dinkelsbühl - Holzen
•Tagesdistanz: 100,44 km
•Höhendifferenz: 125 Meter (Höhe von 397 Meter bis 523 Meter)
•Gesamtanstieg: 545 Meter
•Gesamtabstieg: 537 Meter
•Kalorienverbrauch: 1544 kcal


Ja, ist denn schon wieder Weihnachten? Die Temperaturen nahe des Gefrierbereiches, die Eisklumpen, die sich dort gebildet haben, wo früher meine Füße waren und der Dauerregen deuten darauf hin. Und die Einheimischen stellen auch schon die Weihnachtsbäume auf.


Spätestens als die Zufallsfunktion meines Ipods mir diesen Song auf die Ohren legte und es dabei so seltsam nach Weihrauch roch in diesem Dorf, kamen mir echte Zweifel an der Jahreszeit.

Aber das würde bedeuten, dass ich bereits acht Monate unterwegs bin. Okay, ich habe mein Zeitgefühl schon längst auf der Strecke gelassen. Nur: So langsam kann ich gar nicht sein. Denn es hat mich noch nie nie niemals ein anderer Radler überholt. Die einzigen Leidensgenossen, die mir an so einem nassen Tag wie heute begegnen, kommen mir entgegen. Es gibt also keine Zweifel: Ich bin ein Rennbolide und das hier ist nicht die Adventszeit, sondern einfach nur ein Mai, der sich was schämen sollte.

Auch mein Rad ist übrigens kein Ackergaul, sondern ein hochgezüchtetes Rennpferd. So kommt es, dass es sich auf aufgeweichten Waldwegen, wie wir heute wieder einige zu bewältigen hatten, meist gnadenlos verschluckt. Die Matschepampe verklebt die so sensiblen Bremsen und mein armer Drahtesel röchelt, als würde er mein Asthma mit mir teilen.

Deshalb wollte ich ja auch eigentlich die Variante wählen, die mir mein heiß geliebter Bikeline-Führer vorschlug: ein bißchen Bundesstaße, dafür kein Dreck und noch ein Kloster mehr. Zu dumm nur, dass ich gerade mit so einer Leidenschaft der Ausschilderung folge, dass ich es nicht übers Herz brachte, mich den Wegweisern zu widersetzen.

Seitdem ich diesen tollen Führer habe, habe ich wieder Kontrolle über mein Leben. Keine Weizenfelder, keine Umwege, kein Verfahren mehr. Es tut so gut, diese ganzen Unwegbarkeiten nicht mehr abfedern zu müssen. Neue Erkenntnis: Auch wenn ich so wahnsinnig auf Individualismus stehe, tut es doch manchmal gut, eingetretenen Pfaden zu folgen. Ich weiß jetzt immer VORHER, ob mich noch ein Berg ereilt oder der Boden unwegsam wird. Ich bekomme die Strecke in leckeren kleinen Häppchen von meist ungefähr zwanzig Kilometern serviert und kann mich dann gedanklich von einem Stück zum nächsten hangeln. Und das Allerbeste: Auch wenn es steil und steinig wird, weiß ich immer, dass das schon tausende Radler vor mir geschafft haben. Dann werde ich, der Rennbolide, ja wohl nicht straucheln.

Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie ausgeglichen und glücklich mich das gerade macht. Da kann auch der strömende Regen nichts daran ändern, der mich den ganzen Tag begleitet hat. Die Pflanzen blühen regelrecht auf. Weiß jemand, was das hier ist? Sah aus, wie ein tropischer Regenwald aus Rhabarber.


Der Schwan hier fand es eher zum Abtauchen.


Und obwohl dieser Bauer seinen Kühen eine echte automatische Schubbelmaschine bietet, wie ich sie bisher nur aus Ischgl kannte, stellen sich die Damen lieber zum Melken an, denn drinnen ist es trockener als draußen.


Aber ich bin ja nicht aus Sukrin...äh, ich meine aus Zucker. Und gut für den Teint ist es auch. Spart jede Menge Rotbäckchen-Saft.



Radfahren frischt aber nicht nur die Gesichtsfarbe auf, sondern auch das Geschichts- und Erdkundewissen. So hat mir mein Radführer heute beigebracht, dass ich im Nördlinger Ries ganz lange keinen Berg erklimmen muss, weil hier mal ein Meteorit eingeschlagen ist. Sagte ich schon, dass ich Meteoriten seither total sympathisch finde? Vielleicht könnte man ja einen auf die Alpen werfen, bevor ich darüber muss. Wobei ich vorher natürlich allen Tirolern Asyl anbieten würde.

Bei diesem Kloster in Maihingen hätte ich komplett vergessen, zu Anita, Markus und Hardy Richtung Vorarlberg zu winken.



Dabei sieht doch jeder Laie, dass sich hier der berühmte Vorarlberger Baumeister Beer ausgetobt hat.

Und es sollte nicht das letzte Kloster bleiben heute. Wo wir doch schon bei den ausgetretenden Pfaden waren: Wer eine Krise zu bewältigen hat, geht anständig in Klausur. Da werde ich das doch wenigstens mal einen Abend durchhalten. Hätte ich vorher gewusst, wie schön es hier im Kloster Holzen ist, hätte ich gleich eine Karriere als Nonne angestrebt. Noch wäre es dafür nicht zu spät.





Alte Gewölbebögen, eine Barockkirche,und riesige Käsespätzleportionen, die man in Tirol auf zehn Touristen aufteilen würde. Man müsste nur den charmanten Kellner entlassen, um ein Leben in Keuschheit sicherzustellen.

3 Kommentare:

  1. Halbhöhenlagebewohnerin20. Mai 2010 um 23:59

    Liebe Kerstin,

    so schön diese Pflanze aussehen mag, so gefährlich ist sie auch! Bekannt als Riesen- Bärenklau (oder Herkulespflanze), den man niemals anfassen sollte, denn er macht eine Art Verbrennungen! Also lieber nicht hinter diese Büsche und wenn er (wunderschön) blüht, kein Samen davon in den Garten!

    Ab morgen soll das Wetter besser werden. Eine gute Fahrt und herzerwärmende Bilder wünsche ich dir für Morgen (und mir weiterhin so tolle Fotos und Geschichten dazu ;-) ).

    Herzliche Grüße!

    Moni

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  2. Hallo Kerstin,
    Du bist ja schon schön weit gekommen. Wir sind im gedanken bei Dir, und hoffen das du weiterhin gut durch kommst. Wir wünschen dir super Wetter.

    Gruß Burkhardt u. Ricardo von Ostrad

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  3. hallo kerstin,

    der block über holzen war super und ich werde ein gehaltserhöhung beantragen.
    viele liebe grüsse vom charmanten kellner(marco)

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