- Tag: 1
- Etappe: Flensburg - Kappeln
- Tagesdistanz: 72,5 km
- Höhendifferenz: 54 Meter (Höhe von -11 Meter bis 43 Meter)
- Gesamtanstieg: 429 Meter
- Gesamtabstieg: 419 Meter
- Kalorienverbrauch: 2345
Radeln bis der Arzt kommt. Und weil mich nach Kilometer 72 immer noch kein hübscher Doktor im weißen Kittel mit seinem Porsche auf der Landstraße aufgegabelt hatte, habe ich beschlossen, selbst zu handeln: Deshalb bin ich jetzt zu Gast beim Landarzt: http://www.aurora-kappeln.de/ Könnt ihr euch noch erinnern?
Ein Held meiner Jugend mit seiner Praxis in Deekelsen und all dem idyllischen Landleben drum herum.
Okay, der junge Dr. Brinkmann war noch ein Stückchen cooler. Aber wisst ihr, wie verdammt weit es noch bis in den Schwarzwald ist? Also sitze ich jetzt in seiner Stammkneipe in Kappeln an der Schlei und schreibe meinen Blog. Aber lasst uns ganz von Vorn beginnen.
Eigentlich hatte ich mit einem Paukenschlag gerechnet. Mit Blitz und Donner und mindestens sintflutartigen Regenfällen. Angesagt war das so und ich hätte das mehr als angemessen gefunden, wenn eine Drama Queen eine Reise tut. Scheinbar hat mein Leben aber inzwischen einen anderen Plan: "No more drama" http://www.youtube.com/watch?v=_J-4dXS77V0 ist die neue Devise, seitdem es mir Martin vor die Füße spülte. Und so war es nur etwas grau, als ich mich heute morgen um Sieben nach fünf Stunden Schlaf aus dem Bett quälte, und nieselte gelangweilt vor sich hin.
Doch alles kam, wie immer, anders als man denkt: Die Natur schlug mit aller Gewalt zurück. Ich habe höchste Höhen erklommen, auf einsamen Landstraßen in die Tiefen meiner Seele geblickt und mit wilden Tieren um mein Leben gekämpft. Und das alles in Schleswig-Holstein. Die größten Abenteuer beginnen vor der eigenen Haustür. Was diverse Reisekilometer spart.
Wer muss ins Auge des Orkans sehen, wenn es in Schleswig-Holstein so schön stürmt? Nicht umsonst haben die viele Windmühlen hier.
Hübsch sehen die aus, so pittoresk, dachte ich noch, bevor mich eine hinterhältige Böe fast seitlich vom Rad kippte.
Wer braucht den Dschungel, wenn es in Schleswig-Holstein so viele wilde Tiere gibt? Erst geriet ich offenbar in den wöchentlichen Ausflug des örtlichen Tierheimes. Noch nie zuvor sah ich, die Frau mit der weltallergrößten Hundephobie, so viele riesige Exemplare auf einem Fleck. Und als ich dieses Abenteuer gerade stolz und ohne Bisswunden überstanden hatte, hörte ich auf einem einsamen Feldweg plötzlich ein wildes Knurren hinter mir. Mein erster Instinkt: Raus aus den Clickpedalen. Sollte ich jemals gefesselt sterben, sollte das wenigstens einen sexuell ambitionierten Hintergrund haben. ;-) Mein zweite Instinkt: Schulterblick. Und ich blickte direkt in die Augen einer wilden riesigen Bestie. Mein dritter Instinkt: Flucht. Bei 35 Stundenkilometern gab sich das Monster geschlagen. Ihr versteht sicher, dass ich kein Foto von ihm habe. Ersatzweise gibt es eines von mir, der siegreichen unerbittlichen Kriegerin mit dem Killerinstinkt im Blick.
Wer muss nach Nepal, wenn er einen Gepäckmarsch machen möchte? In Schleswig-Holstein reicht der Ostseeradweg. Der ist nämlich so gut ausgebaut, dass man auch gern mal Treppen steigen darf. Und ich hatte keine Sherpas dabei.
Macht euch keine Sorgen um meine Sehkraft, meine Lieben, ich habe die kleine Rampe daneben sehr wohl bemerkt. Wer sein Rad liebt, der schiebt. Aber habt ihr schon mal versucht, eine glitschige Steintreppe mit Radschuhen runter zu steigen, wenn neben euch ein Bike mit 18 Kilo Gepäck versucht, euch in den Abgrund zu reißen ?
Unten angekommen wurde ich dann aber wenigstens mit diesem Anblick belohnt.
Und bestimmt einen ganzen Kilometer lang schlängelte sich der Weg so hübsch an der Ostsee lang, dass es wirklich mein Herz erfreute.
Bis es dann wieder den nächsten Berg rauf ging. Wer braucht Tirol, wenn er sich nach Bergen sehnt? Schleswig-Holstein ist nahezu hochalpin. Und die Einheimischen prahlen noch damit: "Fahren Sie dort lang Richtung Westerholz, da kommt unser Angeberberg", rät mir eine nette Dame strahlend, als ich sie nach dem Weg befrage. Ständig geht es auf und ab. Dumm nur, wenn man so ein Bremserweichei ist, wie ich eines bin. Dann hat man sehr viel vom Auf, aber wenig vom Ab. "Lass laufen", hörte ich meinen Bruder als leise Stimme in meinem Kopf flüstern. Der Spruch eines ahnungslosen Skifahrers, mit dem der mich beim Snowboarden auf Ziehwegen regelmäßig in den Wahnsinn treibt.
Dem Wahnsinn bin ich momentan offenbar schon sehr nah. Da mir der erste Radfahrer im, natürlich flachen, Ziel begegnete, entwickelte ich heute erste Isolationshafttraumata. Dass ich hinter Autofahrern her brülle, kennt man ja von mir. Schließlich radele ich sonst in Berlin. Aber heute habe ich mich bei lauten Selbstgesprächen ertappt. Und noch schlimmer: Ich rede jetzt mit Tieren.
Dieses hier drehte mir beim Fotoshooting ausschließlich das Hinterteil entgegen, bis ich es auf Tirolerisch versuchte. Eine offenbar gelungene Persiflage auf Martin, der seine Gastkatzen anlockt, führte dazu, dass der kleine laut wiehernde Poser auch endlich posierte. Verzeiht, dass ich euch das hier nicht vormachen kann: Tirolerisch reden ist schon eine hohe Kunst, es aber auch noch aufzuschreiben ist einfach nur unmöglich. Zumindest mir. Liebe tiroler Leserschaft, bitte nutzt die Kommentarfunktion. ;-)
Das war mein Tag. Wild, ungezügelt und voller Abenteuer und kleiner Spinnereien. Wie schön, dass wenigstens die Abendsonne in Kappeln an der Schlei für beschauliche Urlaubsstimmung sorgte.
Und nun zurück zu Ihnen, Herr Doktor: Sie wollen meinen Arsch retten? Aber ich habe es doch im Rücken. Man muss die Schmerzen nehmen wie sie kommen und eine billige Schlagzeile ist mir auch eine kleine Lüge wert.
Vor die Füße gespült!!?? Darüber werden wir noch reden müssen! Und sowohl Boarden, als auch Tirolerisch, liebes Stadtfräulein, lernt man nur durch engen Kontakt mit uns Bergbewohnern - wir arbeiten dran, versprochen ;-) KUSS
AntwortenLöschenLiebe Kerstin,
AntwortenLöschenmein "Weisheiten-Buch" hat mir heute eine Weisheit extra für Dich aufgeblättert: "Reisen sind von jeher mit Recht als Unternehmungen angesehen worden, welche den Verstand erleuchten." (Georg Forster).
In diesem Sinne wünsch ich Dir schöne Erleuchtungen und weiterhin tapferes Durchhalten auch angesichts knurrender Bestien.
Carmen
P.S.: Link ist verteilt.
Liebe Kerstin
AntwortenLöschenwährend ich hier am anderen Ende der Welt sitze und mir die Lachtränen vor Entzücken laufen, stell ich grad fest, dass ich durch dich in den nächsten Wochen nochmal ein volle Ladung Heimatgefühle bekommen werde. Dafür schon mal ein dickes Danke!
Weiter so!
lg, Astrid
PS: Landarzt hach .. *schmelzdahin*.
Liebe Kerstin,
AntwortenLöschenwenn Du heute Regen hast, nimm es nicht so schwer, hier in Berlin ist auch Sauwetter, es regnet schon den ganzen Morgen. Wünsche Dir schon jetzt eine super Tour und werde sicher immer mal wieder hier reinschauen!
Halt die Ohren steif (aber nur bei Rückenwind :-) und viel Spaß!
Katrin aus dem 3. Stock