•Etappe:Bayrischzell - Schwaz
•Tagesdistanz: 121,28 km
•Höhendifferenz: 365 Meter (Höhe von 449 Meter bis 813 Meter)
•Gesamtanstieg: 407 Meter
•Gesamtabstieg: 604 Meter
•Kalorienverbrauch: 3570 kcal
Wir sind Song-Meister. Wir sind Lena. Und wir sind Tirolerin! Es war exakt 14:48 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit als ganz Österreich den Atem anhielt: Die struzzofarbende Radlerin hat die Grenze überquert.
Nun gehöre ich also zu den österreichischen Mitbürgern mit Migrationshintergrund. Naja, noch nicht ganz, aber das ist nur noch eine Formalität. Die Wohnung in Berlin ist gekündigt. Martin und ich machen ernst und werden gemeinsam in Tirol leben. Da ist es doch zumindest sehr beruhigend, dass meine zukünftige Randgruppe seit kurzem die stärkste ist: "Deutsche erstmals größte Ausländergruppe" vermeldete der ORF vor ein paar Tagen.
Expansion scheint ein probates Mittel gegen Andersartigkeit zu sein. Auch diese schrägen Vögel hier, für deren Benennung ich Unwissende wieder Eure Hilfe brauche, setzen auf dieses Mittel, um sich zwischen all den schönen Schwänen am Inn nicht wie die hässlichen Entlein zu fühlen.
Brauchen kann ich sicher jede Menge Unterstützung. Mein Begrüßungskomitee wirkte doch etwas hölzern.
Als Touristin fühlte ich mich eigentlich immer sehr willkommen. Aber auch auf diesem Gebiet scheint es deutlich bergab zu gehen. Offenbar verschrotten die Tiroler jetzt schon ihre Pensionen, bevor sie noch mehr Deutsche ertragen müssen.
Egal, ich bin es gewohnt, dass mir ein kräftiger Gegenwind entgegen bläst.
Heute gehörte er wohl zum Gesamtpaket, das der liebe Gott für mich zusammengeschnürt hatte, um mir das nahende Ende meiner Tour richtig schmackhaft zu machen. Als ich vor einem Monat gestartet bin, war mir klar, dass es nur zwei Möglichkeiten geben wird: Entweder bin ich glücklich, endlich nicht mehr aufs Rad steigen zu müssen oder sehr traurig, dass mich das wahre Leben wieder hat. Momentan spricht alles für Variante 1. Je regrette rien, aber nun langt es auch. Ich freue mich darauf, mein neues Leben aufzubauen, jeden Morgen neben Martin aufzuwachen und ich mag mal wieder etwas anderes anziehen als Radhosen und Trikots.
Um mich darin zu bestärken, wurde dieser Tag, der vorletzte meiner Reise, einer, den man zum Teufel wünscht. Platzregen, Gegenwind und Reifenpannen. Was braucht man mehr für ein furioses Finale?
Die erste Panne ereilte mich bereits im Hotel. Auf den ersten Metern auf dem Rad merkte ich: alles platt. Wie gut, dass Martin und der hilfsbereite Hausmeister den Schaden schnell gerichtet hatten. Und wie ungut, dass das Glück des prall gefüllten Reifens von kurzer Dauer war.
Aber erstmal schien sich der Tag noch zu bessern. Der Regen wurde weniger, auch wenn die Wolken den ganzen Tag tief in den Bergen hingen.
Ich erreichte gegen Mittag den Inntalradweg und wusste, dass ich nun notfalls zu Martin schwimmen könnte.
Als ich auf dem Damm Richtung Österreich rollte, gab es sogar mal blaue Flecken am Himmel.
Sonst kenne ich so schöne Details eher von meinen Beinen, an denen ich seit Wochen Blutergüsse stolz wie Tatoos trage. Seemänner tragen Anker, Radlerinnen blauviolette Tupfenmuster.
Selbst als der nächste Regenguss kam, konnte ich noch lachen.
Das war aber spätestens dann vorbei, als ich kurz hinter Jenbach wieder einen platten Reifen hatte. Aufpumpen war vergeblich. Natürlich Sonntag und kein Radgeschäft weit und breit. Mein einziger Ersatzschlauch hatte schon morgens herhalten müssen und der nächste Gasthof war noch mehr als sechs Kilometer entfernt. So ging ich unter die Wandersleute. Mit 115 Kilometern, die ich bereits in den Beinen hatte, und dem wieder heftig einsetzenden Regen dazu, wirklich kein Vergnügen. Ihr wollt euch das Radfahren abgewöhnen? So funktioniert es garantiert.
Wie froh war ich, als ich endlich den "Goldenen Löwen" erreichte und staunte, wer hier praktiziert.
Die Patientin ist also in den besten Händen. Und morgen ist ein neuer Tag. Gott sei Dank.